
Storecheck Ethnomärkte Berlin – Teil 1: Türkische Lebensmittelmärkte
Startschuss für unsere neue Serie „Storecheck Ethnomärkte Berlin“: Parallel zu unseren bekannten und beliebten internationalen Storechecks rund um den Globus sehen wir uns in den kommenden Monaten auch lokal bei uns in Berlin in diversen Supermärkten um – allerdings nicht in den üblichen deutschen Handelsketten, sondern in verschiedenen Ethnomärkten, um Packagings und Trends zu erkunden, die eben nicht in den Rewes, Edekas und Lidls zu finden sind.
Doch warum beziehungsweise inwiefern ist das für uns als Packaging-Design-Agentur interessant?
Ethnomärkte in Berlin und allgemein in Deutschland werfen im Zusammenhang mit der Marken-, Produkt- und Verpackungsgestaltung eine Reihe von Fragen auf: Welche Erzeugnisse gibt es dort, die wir in den großen deutschen Supermärkten vergeblich suchen? Was strahlen die Ethnomärkte aus, was verkörpern sie – schlicht eine Art „Heimweh“ oder doch mehr als das? Wie stark zeugen die spezifischen Sortimente von abweichenden Ernährungsgewohnheiten der jeweiligen Zielgruppe(n) zur deutschen Durchschnittsbevölkerung? Wie gehen die in den Ethnomärkten vertretenen Marken mit Branding, Verpackungsdesign und dem Thema Nachhaltigkeit – Stichwort EU-Richtlinie PPWR (Packaging and Packaging Waste Regulation) – um? Und wie steht es mit Trends? Übertragen sich jene aus den deutschen Geschäften in die Ethnomärkte oder wird sich mehr an dem orientiert, was in der fernen Heimat angesagt ist? Welche Zielgruppen sprechen die Ethnomärkte genau an? Und welche Anforderungen stellen eigentlich die Verbraucher? Wie sieht die Preisgestaltung aus, insbesondere im Vergleich zu den deutschen Supermärkten?
Bislang weiß man wenig über all das. Die Ethnomärkte scheinen gewissermaßen in einem Vakuum zu existieren – im öffentlichen Diskurs spielen sie so gut wie keine Rolle. Wenn man bedenkt, dass der ein oder andere Berliner Kiez mehr Ethno- als deutsche Märkte aufweist, ist das schon ein Stück weit überraschend. In jedem Fall hat es uns umso mehr motiviert, in diese eigene Welt mitten in Berlin einzutauchen und Näheres in Bezug auf produkt- und verpackungsrelevante Aspekte zu erfahren. Tatsächlich ist die Anzahl und Vielfalt an Ethnomärkten in der deutschen Hauptstadt und internationalen Metropole enorm.
In diesem ersten Teil unserer spannenden Ethnomärkte-Berlin-Serie widmen wir uns türkischen Lebensmittelgeschäften. Wir haben Öz Gida in Berlin-Schöneberg und Bolu in Berlin-Wedding besucht und präsentieren im Folgenden Eindrückliches, Inspirierendes und anderweitig Auffälliges.

Eigenartig verpackte Butter
Das Erste, was uns in den türkischen Märkten ins Auge stach, waren mehrere im besten Sinne eigenartige Butterverpackungen. Neben klassischen Packagings, wie wir sie auch aus den deutschen Lebensmittelgeschäften kennen, gibt es innovative Formate, beispielsweise die markanten Varianten von Sütaski und Sütüm Gurme. Fraglich ist jedoch, ob die Marken langfristig bei diesen speziellen Packagings bleiben können oder im Hinblick auf die Überverpackungsrichtlinien gemäß der PPWR Probleme bekommen.

Unverkennbare Dosenliebe
Gefühlt sind Dosen die Hauptverpackungsart für die Produkte in türkischen Lebensmittelmärkten. Alles Mögliche steckt in Metallkonserven – ob Bohnen, Sarma (gefüllte Weinblätter – köstlich!) oder Käse.
Apropos Käse: Käseprodukten in der Dose begegnen wir zwar teilweise auch bei Lidl und Co., doch die Auswahl ist im Vergleich zum Angebot in türkisch geprägten Ethnomärkten überschaubar. Generell fungiert Käse als wesentlicher Bestandteil der türkischen Küche. Dementsprechend werden verschiedene Käsesorten gerne in großen Dosen mit praktischem Wiederverschluss verkauft, der gewährleisten soll, dass der jeweilige Käse auch nach dem erstmaligen Öffnen noch ein paar Tage seine Frische behält.

Ebenfalls integraler Bestandteil der türkischen Küche sind Oliven. Sie stehen in allen Farben zur Wahl. Und wenn sie nicht gerade in versiegelten Kunststoffbehältnissen mit weitgehend transparenter Fläche verpackt sind – denn die Verbraucher möchten gerne sehen, was genau sie kaufen – befinden sie sich – natürlich – in Dosen.

Selbst ein international renommiertes Unternehmen wie Nestlé – übrigens auch einer unserer Kunden – springt auf den Dosentrend in türkischen Lebensmittelmärkten auf. In den herkömmlichen deutschen Supermärkten ist uns das Nido Vollmilchpulver in der Dose hingegen noch nicht aufgefallen.
Bei dem fast schon exzessiven Einsatz von Dosen zur Verpackung von Lebensmitteln muss es für die Marken doch enorm schwierig sein, sich von der Konkurrenz abzuheben – oder? Auch wenn man es meinen könnte, ist das nicht zwangsläufig der Fall – zumal in türkischen Lebensmittelmärkten schon die Metalldosen an sich um einiges abwechslungsreicher gestaltet sind als bei den Produkten in deutschen Supermärkten, in denen mehr oder weniger alle Dosen unabhängig von Produkt und Hersteller die typische Einheitsform und -größe aufweisen – von ein paar wenigen kleineren Exemplaren wie bei den Gemüsemischungen von Bonduelle einmal abgesehen. Tatsächlich kommen die Dosen-Packagings in den türkischen Märkten zum Teil in ungewöhnlichen Varianten daher – hinsichtlich der Größe, aber auch in Bezug auf die Form, wie beispielsweise das Produkt von Bagci zeigt. Die oftmals große Fläche der Dosen nutzen die Marken bevorzugt für plakative Foodshots und traditionelles Branding.
Interessante Formensprachen im Fokus
Wir bleiben noch ein wenig bei interessanten Formensprachen, denn Dosen sind bei weitem nicht die einzigen Verpackungen, die vielfach in herausragenden Formaten auftreten. Weichkäse beispielsweise gibt es nicht nur in herkömmlichen oder Dosen-Packagings, sondern auch in großen, quadratisch anmutenden sowie in kleineren dreieckigen Kunststoffbechern. Wenn sich – wie bei diesen Produkten von Oba und Yaren – die Form stark vom Durchschnitt abhebt, kann sie selbst ein wichtiges Element des Brandings darstellen, das Differenzierung und gleichzeitig Wiedererkennbarkeit schafft.
Dass es nicht unbedingt auf das konkrete Material ankommt – oder anders gesagt: dass man letztlich mit fast jedem Material kreative Formen erzeugen kann, verdeutlicht die Glasverpackung der Haselnusscreme von Torku. Neben der Gestaltung des Glases selbst begeistert hier auch die gezielte Anpassung der Etikettenform.

Käse zum Dritten – diesmal traditionell rund und transparent
Wir hatten nun schon den Käse in der Dose sowie die Weichkäseprodukte in quadratischen und dreieckigen Packagings. Eine weitere – und vielleicht sogar die wichtigste – Produkt- und Verpackungsform für diese bedeutsame Produktkategorie in türkischen Lebensmittelmärkten ist der runde Käse in transparenten Kunststoffhüllen mit frontalem runden Etikett, das die wesentlichen Produktinformationen darbietet.
Runde Käseprodukte gibt es in klassischen deutschen Lebensmittelmärkten relativ selten. Nur in Werbespots oder werbenden Illustrationen sehen wir häufiger den traditionellen Bauern auf einem zauberhaften Feld in der französischen Provence mit großem runden Käse hantieren – in den Regalen dominieren dann jedoch die schlichten Käsescheiben in voll gebrandeten flachen Kunststoffverpackungen. Aber warum eigentlich? Vermutlich ist der Convenience-Anspruch der meisten deutschen Verbraucher inzwischen so hoch, dass sie ihren Käse lieber bereits vorgeschnitten kaufen, um ihn nicht selbst schneiden zu müssen. Spannender Kontrast: In den türkischen Geschäften findet man kaum Scheibenkäse!

Branding mit Rot
Viele Marken verwenden für das Branding Rot – ein interessanter Aspekt, der einen eigenen Artikel verdienen würde. Das Bedürfnis, genau diese Farbe zu nutzen, geht so weit, dass einige Brands die Markenklammer dafür gerne in die Breite und manchmal auch in die Höhe ziehen, um roter als die benachbarte Verpackung beziehungsweise Marke zu sein. Auch hier stellt sich hinsichtlich der PPWR wieder die Frage nach der Überverpackung. Aber: Das klare, aufgeräumte Branding von Dardanel mit ansprechenden Farbkontrasten und Typografien ist gestalterisch sehr gelungen.

Gewürze (fast) ganz traditionell
In der Türkei und generell in der östlichen Welt kommt Gewürzen eine enorme Bedeutung zu – vor allem, um den Gerichten einen eigenen Geschmack und eine besondere Tiefe zu verleihen, aber auch als Symbol für die Wertschätzung der gesundheitlichen Vorteile, die einigen Gewürzpflanzen zugeschrieben werden. Mitunter haben sie sogar heiligen Status. So Gesinnte sehen beim Gedanken an Gewürze vor dem inneren Auge oft immer noch den traditionellen türkischen Markt mit großen Gewürzsäcken, aus denen man sich einst Kreuzkümmel, Paprika und Co. in kleine Tütchen abfüllte. Um dieser „guten alten Zeit“ Rechnung zu tragen, bieten türkische Lebensmittelgeschäfte Gewürze häufig in transparenten Tüten oder anderen schlicht und einfach gestalteten Verpackungen an, um das Produkt in seiner Natürlichkeit und den Respekt dafür in den Mittelpunkt zu rücken.
Diese reduzierte Designstrategie unterscheidet sich deutlich von dem, was wir in Deutschland und anderen westlichen Ländern mittlerweile in den Gewürzregalen vorfinden: stark gebrandete Packagings mit einer coolen, hippen Darstellung der jeweiligen Produkte.

Glänzende Veredelungen als Ausdruck für Wertigkeit
Soll eine Brand besonders hochwertig erscheinen oder – wie im Falle von Suntat – der strahlende Markenname unterstrichen werden, macht man sich bei der Verpackungsgestaltung gerne glanzvolle Veredelungen zunutze – manchmal lediglich als Akzent, teilweise allerdings auch vollflächig. Interessanterweise betrifft das nicht nur spezielle Erzeugnisse, sondern zum Teil auch Basic-Produkte. In diesem Zusammenhang ist vor allem Reis zu nennen, der ein wesentliches Element in der türkischen Küche bildet. Er wird oftmals in Tüten verkauft, die sich prinzipiell sehr gut für glänzende Veredelungen und andere attraktive Druckeffekte eignen. Der metallische Glanz, ergänzt durch traditionelle Muster und Motive, ergibt ein betont wertig anmutendes Verpackungsdesign.
Auch in der Süßwarenabteilung sind uns buchstäblich glänzende Packagings aufgefallen, beispielsweise von Luppo.
Manche Brands binden glänzende Effekte in ein komplexeres Spiel mit der Oberflächenoptik und -haptik ein. Exemplarisch seien zwei Kaffees erwähnt: Beim Packaging Design von Sekeroglu Minnettar ist Traditionelles modern interpretiert – auf sehr gelungene Art und Weise; und die Verpackung des serbischen Herstellers Grand, der sich mehr den westlichen Gestaltungstrends annähert, zeugt von kreativem Minimalismus und typografischer Raffinesse.
Glänzende Veredelungen können auch komplett anders entstehen, wie das Etikett des Kalamata-Produkts von Marmarabirlik zeigt. Es erweckt den Eindruck, als hätte man das Glas direkt bedruckt. In Wahrheit handelt es sich jedoch um eine spezielle Folie, die im Licht einen eigenen Glanzeffekt erzeugt. Marmarabirlik setzt offenbar grundsätzlich gerne auf ausdrucksstarke Folieneffekte. Denn auch die bedruckte mattierte Folie des schwarzen Sade-Packagings erzielt im Regal eine besondere Wirkung und zieht den Blick an.


Colorblocking bei den haarigen Angelegenheiten
Colorblocking im Regal ist an und für sich nichts Ungewöhnliches; unser Storecheck in türkisch geprägten Ethnomärkten hat allerdings ein extremes Beispiel offenbart: Bei Elidor bildet nicht der Druck, sondern die Verpackungsfarbe den Block. Ansprechendes Colorblocking und dazu ein generell gelungenes Packaging Design präsentiert Fixegoiste mit den Haargels, bei denen das Zusammenspiel aus Farbe, Veredelung und Form – das Schwungvolle ist im Kontext des Haarstylings äußerst kreativ – einen rundum starken Block mit Wiedererkennungswert ergibt.

WPR-Abteilung ohne große Besonderheiten
Die Marke Asperox – designt von unserer Partneragentur aus Istanbul – nutzt das weiter oben beschriebene Spiel mit den Oberflächen und Veredelungen für ihre Reinigungsprodukte.
Ansonsten ist uns in der WPR-Abteilung kaum Besonderes aufgefallen. Bei der Verpackungsgestaltung der Weichspüler bedienen sich türkische Brands offensichtlich ähnlicher Prinzipien wie deutsche Marken: Der Kuschelbär als Symbol für Weichheit scheint auch bei ihnen hoch im Kurs zu stehen.
Zudem finden sich in den Regalen ein paar bekannte Marken wie Persil oder OMO, wobei wir insbesondere das Verpackungsdesign bei OMO als wenig gelungen erachten: Es weist zahlreiche verschiedene Elemente auf, die zu sehr verschwimmen und dadurch Unruhe erzeugen: Outlines, Blumen, Schmetterling, Regenbogen, Verläufe, unzählige Farben – das ist unserer Ansicht nach zu viel des Guten.

Gleiches Produkt, gleiche Verpackungsform – aber unterschiedliche Styles
Was für einen Unterschied das Design für die Ausstrahlung und Wirkung eines Produkts machen kann, sehen wir hier an den formtechnisch gleichen Faltschachteln für Henna. Wir haben einmal die traditionelle „Hand der Fatima“, die als wichtiges kulturelles und religiöses Symbol im Nahen Osten und in Nordafrika vor bösen Blicken und negativen Kräften schützen soll; dann das comicartige Design mit dem Frauenkopf; und schließlich ein modern gestaltetes Packaging mit stark ausgearbeitetem Branding, stilvollen Illustrationen und generell aussagekräftigen visuellen Elementen, wie wir sie in deutschen Märkten von Brands wie Weleda oder Lavera kennen. Alle drei Henna-Varianten stehen auf ein und demselben Regal – das ist Vielfalt pur.

Sonstige interessante Verpackungen
Die Calypso-Limonaden sind ein weiteres Beispiel für den effektvollen Foliendruck, den wir oben mehrfach thematisierten, und sprechen eine moderne, verspielte Sprache.
Bei Multipacks wie dem abgebildeten Wasser in Glasflaschen bleibt abzuwarten, wie es zukünftig mit der PPWR-Konformität aussieht. Das betrifft aber natürlich nicht nur entsprechende Produkte in Ethnomärkten, sondern auch vergleichbare Verpackungslösungen in allen sonstigen Geschäften.
Der süße Süt Burger ist sowohl als Produkt – ein speziellerer süßer Snack für unterwegs – als auch hinsichtlich des Packagings äußerst kreativ umgesetzt.
Grundsätzlich unterscheiden sich die Verpackungen für Chips nicht wesentlich von ähnlichen Produkten in den deutschen Supermärkten. Die 3D-Designs von Patos Critos ragen jedoch heraus und schreien förmlich nach Aufmerksamkeit. Zudem überzeugen sie mit starkem, cleverem Colorcoding – Rot steht dabei natürlich für feurig und scharf.


Fazit, Schlusswort und Ausblick
Dosen, Dosen, Dosen, jede Menge runder Käse, Formenvielfalt, glänzende und anderweitig effektvolle Foliendrucke, allerhand Traditionelles und Rot als dominante Farbe – das sind die eindrücklichsten produkt- und verpackungsspezifischen Besonderheiten in den türkischen Lebensmittelmärkten in Berlin. Darüber hinaus spielen markante Foodshots und Transparenz eine wesentliche Rolle – die Verbraucher wollen sehen, was sie kaufen. Das preisliche Niveau ist ähnlich wie in klassischen deutschen Supermärkten, wenngleich die Mengen oft abweichen: Meist bekommt man im Ethnomarkt mehr Produkt für das gleiche Geld.
Im nächsten Teil unserer Serie „Storecheck Ethnomärkte Berlin“ widmen wir uns den Trends in asiatischen Lebensmittelgeschäften, bevor wir osteuropäische Märkte genauer unter die Lupe nehmen.